Hamburg: Klassenjustiz gegen den Roten Aufbau Hamburg
Der Paragraph 129 des Strafgesetzbuches sowie der 129a sind als Gesinnungs- und Schnüffelparagraph bekannt, die von Staatsanwaltschaften und Polizei gern genutzt werden, um linke Gruppierungen zu kriminalisieren, unter Druck zu setzen und ihre Strukturen auszukundschaften. Der Vorwurf der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ oder „terroristischen Vereinigung“ lässt umfangreiche Ermittlungsmethoden zu. In Hamburg hat es größere Aktionen gegen Links unter diesem Label länger nicht gegeben – das hat sich am Anfang dieser Woche schlagartig geändert.
Am frühen Montagmorgen schlugen Hamburgs Staatsanwaltschaft und Polizei gegen jene Gruppe radikaler Linke zu, die sie schon lange im Fadenkreuz haben: den Roten Aufbau Hamburg (RAHH). Es war der größte Schlag gegen eine linke Gruppe in der BRD seit Jahren. Mehr als 200 Polizisten hatte die Staatsmacht aufgeboten, um insgesamt 28 Objekte zu durchsuchen. Einrichtungen der Gruppe, hauptsächlich aber Wohnungen vermeintlicher Aktivist*innen der Gruppe, fast alle in Hamburg, dazu je ein Objekt im westfälischen Siegen sowie in Tornesch und Stelle im Hamburger Umland. Durchsucht wurde auch der Info- und Kulturladen des RAHH „Lüttje Lüüd“ (plattdeutsch für: kleine Leute) im Hamburger Stadtteil Veddel.
In dürren Worten erklärten die Polizei Hamburg und die Generalstaatsanwaltschaft der Stadt in einer gemeinsamen Pressemitteilung, „nach umfangreicher Ermittlungsarbeit“ seien 28 Durchsuchungbeschlüsse vollstreckt worden, „umfangreiche Beweismittel“ sicher gestellt worden. Bereits seit 2019 ermittele der Staatsschutz des Landeskriminalamts gegen 22 Mitglieder des Roten Aufbau „wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung“. Eine ähnlich große Aktion gegen Links gab es in Hamburg wohl zuletzt im Mai 2007. Damals durchsuchten rund 300 Polizisten 14 Objekte in Hamburg, darunter die Rote Flora und den Malersaal des Schauspielhauses. Die Generalbundesanwaltschaft führte die Ermittlungen. Die Razzien richteten sich gegen 18 namentlich bekannte Personen der linksautonomen Szene, auf Grundlage des Paragraphen 129a. Den Beschuldigten wurde eine Serie von Brandanschlägen vorgeworfen.
Bei den Razzien am Montag dieser Woche waren auch mit Maschinenpistolen bewaffnete Beamte von Sondereinsatzkommandos (SEK) dabei. Sicher ist sicher, denn Linke bunkern ja bekanntlich jede Menge Waffen und haufenweise Sprengstoff daheim… Auch Halil Simsek, bekanntester Aktivist der Gruppe, bekam im Morgengrauen Besuch von Spezialisten. Schwer bewaffnete SEK-Beamte traten bei ihm die Tür ein. Seine sämtlichen Geräte wie Handy und PC seien mitgenommen worden. Für Simsek nichts Neues. Bereits kurz vor dem G-20-Gipfel im Sommer 2017 und dann noch mal im Dezember des Jahres stürmte die Polizei seine Wohnung. Unter dem Pseudonym „Deniz Ergün“ war Simsek Sprecher des Bündnisses „G 20 entern“ und des Camps im Volkspark.
Noch am Montagabend demonstrierten etwa 600 Linke spektrenübergreifend gegen diesen neuen Akt der Repression. In ersten Kommentaren in den sozialen Netzwerken wurde darauf hingewiesen, dass die Razzien sich gegen den Roten Aufbau richteten, aber alle Linken gemeint seien. In einer Erklärung auf ihrer Homepage warf die Gruppe der Staatsanwaltschaft vor, „ein „Konstrukt aus mehreren Tatkomplexen“ zu konstruieren, „die begründen sollen, dass wir eine kriminelle oder terroristische Vereinigung gebildet hätten“.
Welcher Paragraph zum Tragen komme, sei „immer noch nicht klar, weil die Behörden sich widersprechen“. Man gehe aber aktuell von einem § 129a-Verfahren aus, also „Bildung einer terroristischen Vereinigung“. Die Angriffe auf den Roten Aufbau zeige, „dass die Klassenjustiz im Dunkeln tappt und nun uns, die öffentlich wahrnehmbarste Struktur der radikalen G-20-Proteste, für alles verantwortlich machen will“.
Welt-Reporter Dennis Fengler, der vermutlich ein Feldbett in der Hamburger Polizeipressestelle hat, so gut wie seine Verbindungen zu den Sicherheitsbehörden sind, wusste am Montag zu berichten, der Rote Aufbau werde von den Behörden mit „zahlreichen Straftaten in Verbindung gebracht“. Welche das genau sein sollen, wurde nicht verraten. Nur dass es unter anderem um einen Brandanschlag am 23. September 2016 im Hamburger Norden geht. Damals brannten zwei Privatwagen des Polizeidirektors Enno Treumann, die im Carport vor dem Haus des Beamten abgestellt waren. Treumann war damals Chef der „Taskforce Drogen“, die seit April 2016 migrantische Kleindealer auf St. Pauli, im Schanzenviertel und in St. Georg jagte. Anfang Juni 2020 wärmte Hamburgs Polizei den Fall im ZDF-Magazin „Aktenzeichen XY… ungelöst“ auf und suggerierte eine Beteiligung Simseks an der Tat, ohne ihn namentlich zu nennen.
Zu dem Vorwurf, für diese Brandstiftung verantwortlich zu sein, werden den Beschuldigten wohl auch noch angebliche Straftaten bei der Demonstration im Industriegebiet Rondenbarg am ersten Tag des G-20-Gipfels, dem 7. Juli 2017, vorgeworfen. Damals zerschlug die berüchtigte brandenburgische Einheit „Blumberg“ der Bundespolizei einen Aufzug brutal, verletzte etwa ein Dutzend Demonstranten teilweise schwer. Auch Halil Simsek trug damals Verletzungen davon. Er gehört zu den über 80 Teilnehmern des Aufzugs, die demnächst für das pure Mitlaufen bei der Demo vor Gericht gestellt werden sollen. Es ist nicht ganz abwegig, dass die Razzien jetzt quasi als Vorspiel zu diesem grotesken Monsterverfahren dienen sollen.
In der Erklärung des RAHH heißt es weiter, die Hinzuziehung der SEKs bei den aktuellen Hausdurchsuchungen stelle „einen besonderen Versuch dar, uns und unser Umfeld einzuschüchtern“. MPs seien „eine besondere Qualität der Repression“. Die Gruppe dankte den Teilnehmer*innen der Spontandemonstration im Schanzenviertel: „dies gibt uns Kraft in dunklen Zeiten“, so heißt es wörtlich. Besonders wichtig sei gewesen, „dass spektrenübergreifend aufgerufen wurde, denn wir begreifen den Angriff auf uns als den Versuch die gesamte radikale Linke zu kriminalisieren“. Deswegen bedanke man sich auch für „die große Solidarität und Grüße aus den anderen Städten“.
Man werde „nicht einfach das Feld räumen“. „Wir sind KommunistInnen und werden uns niemals den Herrschenden beugen, es ist unsere Pflicht uns und unsere Geschichte zu verteidigen“, so der Rote Aufbau. Die Repression treffe „willkürlich auch Personen, die uns zugeordnet werden“. Allen Betroffenen werde empfohlen, politische StrafanwältInnen zu nehmen, da diese die Gesamtsituation im Blick behalten.
Anja Sommerfeld, Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe, bezeichnete die Razzien als „die größten Angriffe der letzten Jahre auf organisierte linke Strukturen“. Nur zwei Tage nachdem Neonazis die Stufen des Reichstages erklimmen konnten, ohne nennenswert daran gehindert worden zu sein, hätten die Repressionsbehörden nichts Besseres zu tun, als eine aktive linke Gruppe zu kriminalisieren. Als Begründung werde einmal mehr „der Gesinnungs- und Strukturermittlungsparagraf 129 angeführt“. Es handele sich offenkundig um einen gezielten Einschüchterungsversuch gegen die gesamte linke Bewegung. Die Rote Hilfe rufe alle Linken auf, sich gegen diese Provokation öffentlich zu positionieren.
Jetzt ist Solidarität gefragt!